Mittwoch, 6. Oktober 2021

Auf der Suche nach der (für mich) perfekten Bluse (Spoiler: Fashionstyle 10/2018, Schnitt 23 ist es nicht)


Seid ihr schon im Herbstnähmodus? Mir fehlt es noch etwas an Ideen, was ich im Herbst und Winter tragen möchte (nur dass es etwas mit Breitcord zu tun haben wird, das ist relativ klar. Brauche ich eventuell einen grünen Cordmantel?). Ich hoffe, dass ich beim MeMadeMittwoch heute, dem Treffpunkt für Menschen, die ihre Kleidung selbst nähen, etwas Inspiration finde.   

Bluse aus FashionStyle 10/2018, Nr. 23
Inzwischen kann ich euch noch ein mäßig erfolgreiches Projekt der letzten Monate zeigen. Ich bin ja seit Jahren, ach was, seit Jahrzehnten, auf der Suche nach einem guten, DEM guten Blusenschnitt. Dasss ich klassische Hemdblusen zwar gerne nähe (ich verarbeite gerne Hemdenstoffe, ich liebe Kragen und Manschetten und all' das), aber letztlich nicht trage, habe ich inzwischen herausgefunden. Irgendwie sieht so ein Hemdschnitt an mir nie so lässig aus, wie ich es mir vorstelle, der Kragen kommt immer mit der Jacke ins Gehege, irgendwas stimmt da nicht. 


Dann hatte ich den Blusenschnitt "Pam" aus La Maison Victor für mich entdeckt (und einige Exemplare genäht, zum Beispiel mit Ananas), ein einfaches, verschlussloses Oberteil mit langen Ärmeln und rundem Ausschnitt, der mit einer Art Mini-Schluppe, einem kleinen, verstürzten Band geschlossen wird. Das war zwar ganz schön, aber ein bisschen einfach, denn ich suchte ja eigentlich nach einem Schnitt, der klassische Blusenelemente enthält - Knopfleiste, Kragen, Manschetten - ohne eine Hemdbluse zu sein. (Wenn ich meine Problembeschreibung hier schwarz auf weiß lese, bekomme ich selbst den Eindruck, dass ich im Grunde das Unmögliche suche.)   

Jedenfalls dachte ich, im Schnitt 23 aus Fashionstyle 10/2018 möglicherweise die ideale Bluse gefunden zu haben, oder zumindest einen Schnitt, der einen Versuch wert war: Sie hat eine Schluppe wie Pam, die aber am hinteren Ausschnitt einen Art Kragen bildet. Sie hat Ärmel mit Schlitzen und Manschetten und eine Knopfleiste, die in einem V-Ausschnitt endet und sie hat Prinzessnähte und zusätzlich einen kleinen Brustabnäher. Das klang vielversprechend.


In Wirklichkeit habe ich schon beim Nähen etwas geflucht, weil ich mir einen Rest sehr weichen, wenig formstabilen Viskosecrêpe ausgesucht hatte, dunkelblau mit Strandszenen, und das Nähen dadurch kniffelig war. Übrigens ein Stoff vom Tauschtisch von der Annäherung in Bielefeld 2020, erkennt ihn jemand wieder? Die Kragenschluppe habe ich komplett mit Einlage verstärkt, die Knopfleiste und die Manschetten sowieso, trotzdem ist die allgemeine Labberigkeit des Stoffes auch bei der fertigen Bluse einfach etwas ungünstig. 

 

Die Taillierung durch die Prinzessnähte kommt bei so wenig Stand im Stoff kaum heraus, außerdem sitzen der Armausschnitt und der Schulterbereich nicht besonders gut - ich habe nicht herausgefunden, woran das genau liegt, denn eigentlich passt sich der Stoff an alles an. Aber vielleicht ist das genau das ein Teil des Problem. 

Schnitt 23 aus FashionStyle 10/2018 ist also vermutlich nicht der gesuchte perfekte Blusenschnitt, auch wenn ich mich beim Betrachten der Schnittzeichnung schon gefreut hatte. Aber vielleicht finde ich den perfekten Blusenschnitt ja heute beim MeMadeMittwoch!  

Die Details kurzgefasst:

Schnitt: 23 aus FashionStyle 10/2018 ohne Änderungen

Stoff: sehr weicher Viskosecrêpe 

Einlage: leichte Bügelvlieseinlage in Schluppe, Knopfleiste und Manschetten

Mittwoch, 7. Juli 2021

Ein seriöses Sommerkleid: Reeta von named clothing aus Leinen mit Nadelstreifen (und Taschen!)

Ein besonderes Bekleidungsproblem stellt sich jeden Sommer: Was anziehen bei über 30 Grad und tropischer Luftfeuchtigkeit, wenn man geradezu zerfließt, aber trotzdem halbwegs seriös und städtisch gekleidet sein will oder muss? Also nicht wie eine Urlauberin auf dem Weg zum Badesee wirken will? Für mich sind Hemdblusenkleider eine Lösung für dieses Problem, wegen des Kragens haben sie eine eher geschäftsmäßige Ausstrahlung. Den Schnitt für das Reeta Dress von named clothing wollte ich schon seit etwa drei Jahren nähen.

reeta dress named clothing
Der Schnitt ist schön seriös - Reverskragen, halblange Ärmel mit Aufschlägen, insgesamt ziemlich lang, aber hat einen Fehler: Er hat keine benutzbaren Taschen, denn in den aufgesetzten Taschen des Oberteils könnte man höchstens eine Kinokarte unterbringen. 

reeta dress named clothing - stoff und schnittzeichnung

Der Mangel an echten Taschen fiel mir schon beim ersten Anprobieren auf, als ich gewohnheitsmäßig die Hände in die Taschen stecken wollte. Da das Rockteil aber auf jeden Fall weit genug ist, um Taschenbeutel unterzubringen und man die Oberkante der Taschenbeutel sogar in dem innen aufgesteppten Tunnel für das Bindeband mitfassen kann, war das Hinzfügen von brauchbaren Taschen in der Seitennaht kein Problem - zählt man nicht mit, dass das partielle Auftrennen eines schon fertigen Kleidungsstücks in jedem Fall ein Problem ist, in erster Linie ein Problem des inneren Schweinehunds.

In der Seitennaht hinzugefügte Taschen
In der Seitennaht hinzugefügte Taschen von innen
Die Taillierung wird allein durch einen Tunnelzug mit einer Kordel (oder einem genähten Band oder Webband) erreicht, so dass der Schnitt auch ohne Änderungen sehr gut anpassbar ist. Man sollte nur darauf achten, dass das Oberteil, also die Strecke von den Schultern bis zum Tunnelzug, nicht zu kurz ausfällt: Das Oberteil soll gerade im Rücken leicht blusig sitzen. Ich habe den Tunnel für die Kordel daher erst aufgesteppt, als das Kleid bis auf den Saum fertig war und ich es komplett geknöpft anproboieren konnte, um den Verlauf des Tunnelzugs festzulegen.  
 
reeta dress - Tunnelzug in der Taille
Tunnelzug mit Kordel in der Taille
Wie bei den meisten Schnittmustern von named clothing sitzt der Brustabnäher sehr hoch (wenn er zu hoch ist, wird das hier von den aufgesteppten Taschen im Oberteil gnädig verdeckt), die Schultern sind ziemlich schmal und die Ärmel relativ eng. Wer breite Schultern hat, überprüft besser noch vor dem Zuschneiden, ob die Weite in dem Bereich ausreicht. Selbst ich, die ich die Schultern bei Burda-Schnitten immer um zwei Zentimeter verschmälern muss, finde die Schultern und die Armkugel hier eher eng. Aber die schmalen Ärmel und Schultern sorgen eben auch für die Eleganz der named-Schnitte. 

Reeta dress named clothing Oberteil
Der Stoff ist auch ziemlich elegant (und schwer zu fotografieren), es ist ein feines,, leicht glänzendes Leinen in Olivgrün mit beigen Nadelstreifen, das ich im Spätsommer 2018 bei einem Ausflug zu Dalink-Stoffe in Spandau gekauft hatte. Die Knöpfe - man braucht 10 Stück und das geben meine Knopfkisten nicht her, jedenfalls nicht in passender Farbe - habe ich bei der Knopftruhe bestellt. Der Shop war mal ein guter Tipp von Chrissy Pop, so weit ich mich erinnere - es gibt dort Standardknöpfe wie diese marmorierten aus Hornimitat aka Plastik zu sehr vernünftigen Preisen. 


Menschen, die ihre Kleidung selbst nähen, treffen sich wie jeden ersten Mittwoch im Monat im  heute wieder im MeMadeMittwoch-Blog - heute als Gastgeberin mit Lasercat als Gastbloggerin. Vielen Dank für die Organisation! 

Details

Schnittmuster: Reeta Shirtdress, named clothing

Änderungen: Position des Tunnelzugs erst zum Schluss festgelegt, Taschen in die Seitennaht eingefügt.

Material: ca. 2,60 m Leinen, 140 cm breit, 10 Knöpfe (Hornimitat, 18 mm), leichte Vlies-Bügeleinlage. 1,60m schwarze Kordel   

Mittwoch, 2. Juni 2021

Pyjama für draußen: Keana-Bluse von named clothing

Wie steht ihr zu Pyjamas als Straßenbekleidung? In Shanghai und manchen anderen Städten in China scheint es üblich zu sein, im Pyjama zum Einkaufen zu gehen oder zumindest kleine Besorgungen in der Nähe des Zuhauses zu machen. Ich kann mich erinnern, dass ich zuerst kurz vor oder während der Sommerolympiade in Peking von dieser Gewohnheit las, weil die chinesische Regierung das Tragen von Pyjamas in der Öffentlichkeit verbieten wollte, um im Ausland einen guten Eindruck zu machen. Kurz vor der Weltausstellung in Shanghai 2010 gab es wieder solche Bestrebungen und aktuell wird anscheinend immer noch gegen das Pyjamatragen in der Öffentlichkeit vorgegangen, das als "unzivilisiert" gilt - mit Hilfe von automatischer Gesichterkennungssoftware und Anprangern bei WeChat. 

Herrje. Was ich mir als launigen Einstieg für meine pyjamaähnliche Bluse gedacht hatte, hat mich unerwartet in ein ernstes Thema manöviert. Wie bekomme ich jetzt den Dreh zu Schnittmustern und Stoffen? Mir würde es nämlich gut gefallen, wenn Pyjamas aus Baumwollwebware auch bei uns im Sommer auf der Straße getragen würden. Im Vergleich mit einer Kombination aus Shorts und Tanktop oder neben formlosen Sportklamotten wirkte ein klassischer Pyjama geradezu seriös. Immerhin sind die Hosen und die Ärmel lang, das Oberteil hat Taschen und einen Kragen und ähnelt einer Jacke - der Unterschied zu einem Sommeranzug ist allenfalls graduell. 

Gerade das pyjamaähnliche Design gefiel mir schon längere Zeit am Blusenschnitt Keana von named clothing - auch ein Schnitt, den named vor einiger Zeit (letztes Jahr?) aus dem Programm genommen hatte und den ich mir vorher noch schnell sicherte (wer mir etwas verkaufen will muss nur ankündigen, dass es das bald nicht mehr gibt). 

Kragen, Vorderkanten und Ärmelblenden kann man mit feinen Paspeln absetzen, named schlägt dafür vor, ein gefalztes Baumwollschrägband längs zu halbieren und die Stoffstreifen als Paspel zu nutzen. Ich schnitt mir die Schrägstreifen selbst aus einem Stoffrest (vermutlich Polyester) zu und erwischte damit einen Stoff, der sich auch im schrägen Fadenlauf so gut wie nicht dehnt und der sich daher auch nicht so richtig glatt um die Kragenecken legen will. Die Paspelbreite überall einzuhalten fand ich auch sehr schwierig - das ist definitiv einfacher, wenn die Paspel eine Füllung hat und sich der Nähfuß daran orientieren kann. Also, was präzises Nähen betrifft, ist hier noch Luft nach oben, aber im Gesamtbild nimmt man die Unregelmäßigkeiten nicht so sehr wahr. Oder sie werden von dem entzückenden Stoffmuster - Batist mit Artischocken, Bohnen und anderem Obst und Gemüse - gut überspielt. 

Der Blusenschnitt fällt sehr kurz aus - der Saum endet normalerweise etwa in der Taille, ich habe die Bluse um etwa 4 cm verlängert, denn ganz so kurz wollte ich sie doch nicht haben. Die Proportionen sind aber gut durchdacht: Keana passt so gut zu hoch geschnittenen Hosen und Röcken. Die Passform an den Schultern ist relativ reichlich, die Armausschnitte sind ziemlich groß, das soll ein eher kastiges, weites Oberteil sein, daher würde ich den Schnitt wirklich nicht mehr verlängern als unbedingt nötig. Keana ist eben eine Kreuzung aus Pyjamaoberteil und Hawaihemd, aber mit vielen schönen Details. 

Mir gefällt vor allem der breite, doppelt umgeschlagene Saum, der an den Seitennähten Schlitze hat - das ist gut durchdacht beim Nähen und passt sehr gut zu einer Bluse, die über dem Hosen- oder Rockbund getragen wird. Eine einfarbige Version - zum Beispiel ganz pyjamamäßig in dunkelblau mit weißen Paspeln - könnte ich mir auch gut vorstellen. Für leichte Stoffe wie Batist oder auch Viskosestoffe ist der Schnitt sehr gut geeignet, und man braucht außerordentlich wenig Stoff (ca. 1,30 m). 

Die Hose ist Schnitt 104c aus Burdastyle 2/2017, die ich 2019 genäht hatte (und auch noch einmal in grün besitze), passt am besten zum derzeitigen Übergangswetter, da es für Strumpfhosen zu warm, für Röcke mit nackten Beinen aber außer mittags noch zu kalt ist.  

Beim MeMadeMittwoch, dem monatlichen Treffen für Menschen, die ihre Kleidung selbst machen, lässt sich bestimmt gut abesen, wie es um die Temperaturen anderswo bestellt ist. Vielen Dank für die unermüdliche Organisation, liebes MMM-Team!  

Details in Kürze  

Bluse: Schnitt: Keana von named clothing (wird nicht mehr angeboten) 

Änderungen: etwa 4 cm über der Taille verlängert (Größe 40 genäht) 

Stoff: 1,30 m Batist, Rest Unistoff für die Paspeln (Schrägband)  

Hose: Schnitt 104 c aus Burdastyle 2/2017, der Blogpost dazu ist hier.

Mittwoch, 5. Mai 2021

Gefühlte Schwierigkeit: Blazer 112 aus Burdastyle 2/2015

 

Ihr kennt doch sicher alle das Burda-Punktesystem, mit dem der Schwierigkeitsgrad eines Schnittes angegeben wird? Die Schnitte bewegen sich zwischen einem Punkt (Poncho aus zwei zusammengenähten Stoffrechtecken) und vier Punkten (Mantel mit Reverskragen, Paspeltaschen mit Klappe und noch einer Handvoll Extras). Interessanterweise entspricht die angegebene Schwierigkeitsstufe nicht immer meiner gefühlten Schwierigkeit. Ich habe von Trenchcoat bis zum doppelt gefütterten Wintermantel schon alle möglichen Mäntel genäht, darunter auch welche mit Vier-Punkt-Wertung (zum Beispiel den dunkelroten Wollmantel, den ich zuletzt beim MeMadeMittwoch zeigte) - aber mein echter Angstgegner sind Blazer.  


In meiner Nähkarriere habe ich noch nie einen Blazer genäht, der mir dann wirklich gefallen hätte und den ich auf Dauer wirklich angezogen hätte. Das ist natürlich vollkommen absurd, schließlich unterscheidet sich ein Wollmantel von einem Blazer meistens nur in der Länge. Die Schnitte sind gleich aufgebaut, die Passform ist im Prinzip identisch, die Stoffe sind ähnlich - aber irgendwie stelle ich an die Passform von Blazern höhere (oder einfach andere?) Ansprüche als an Mäntel. Und zweitens finde ich es schwierig, bei Blazern die richtige Länge zu finden, die dann auch zu möglichst vielen meiner Unterteile passt.


Dieser Blazer hier, Modell 112 aus Burdastyle 2/2015, könnte vielleicht doch mal ein Teil sein, das ich wirklich trage. Die Anfänge der Jacke konnte ich sogar hier im Blog wiederfinden: im November 2016 hatte ich die meisten Teile zugeschnitten und den Korpus zusammengenäht. Ich glaube ich nahm die Teile im Januar 2017 mit zur AnNäherung, für alle Fälle, falls ich mit meinem Hauptprojekt früh fertig werden würde. Dann passierte lange nichts, die halbe Jacke zog sogar einmal mit mir um (und warf sie nicht weg, obwohl ich das überlegte) und holte sie erst vor ein paar Wochen wieder hervor, zum Online-Nähwochenende, das Muriel und Chrissy organisiert hatten. Eigentlich nur, weil ich nicht dazu gekommen war, etwas Neues zu planen und zuzuschneiden, nicht unbedingt aus Überzeugung, dass das wirklich etwas werden würde. 


Der Zustand nach dem Wochenende, noch ohne Futter, aber mit Kragen, Taschen und Ärmeln war dann wirklich so vielversprechend, dass ich motiviert war, das Futter einigermaßen zügig (für meine Verhältnisse) einzunähen - und dem Blazer das sehr gehütete Sicherheitsnadelfutter zu spendieren, von dem ich leider nur 1,50 Meter habe. Jetzt fehlt nur noch ein Knopf und ein Knopfloch in der Taille und ich bin vorsichtig optimistisch, dass mir diese Jacke wirklich so gelungen sein könnte, dass ich sie wirklich anziehen werde. Über die Kopffrage werde ich noch ein bisschen nachdenken - die Optionen aus der Knopfschachtel gefallen mir alle nicht so richtig. Eventuell beziehe ich einen Knopf mit dem Stoff der Jacke. 


Über Passformfragen bei selbstgenähter Kleidung hatte ich mir 2013 schon mal Gedanken gemacht (in diesem alten Artikel - habe ich selbst mit Vergnügen nochmal gelesen)  - Fazit: besser als Fertigkleidung bekommt man es allemal hin, und wenn man sich das selbst nicht glaubt und im Perfektionismus gelähmt ist hilft es, im Vergleich gekaufte Kleidung anzuziehen, die man mal in dem Glauben angeschafft hatte, sie würde gut passen. 


Das Kleid unter der Jacke ist Wenona, genäht 2017, von named clothing, ein Schnittmuster, das es leider nicht mehr gibt.  

Damit gebe ich zurück zum MeMadeMittwoch, dem Treffpunkt für Menschen, die ihre Kleidung selber nähen. 

Details auf einen Blick:

Schnitt: 112 aus Burdastyle 2/2015

Stoff: ca. 2 Meter leichter dunkelblauer Wollstoff mit Nadelstreifen

Futter: ca. 1,50 m Polyestercrêpe

Zubehör: dünne Schulterpolster, Ärmelfische. Einlage auf mittleres Vorderteil, Kragen, Belege und Saumumschläge aufgebügelt.

Dienstag, 4. Mai 2021

Ein neues Buch: "Über das elegante Leben" von Honoré de Balzac

Das letzte Jahr war besonders für FreiberuflerInnen nicht einfach, um es milde auszudrücken - umso froher bin ich, dass ich euch heute von meinem neuen Buch berichten kann, das vor vier Wochen erschienen ist. Für mich bedeutet es nämlich, darauf zu vertrauen, dass es sich lohnt, Büchern über so ein frivoles Thema wie Mode auf die Welt zu helfen - und darauf, dass es trotz (oder vielleicht sogar wegen?) aller Sorgen eine Zahl von Menschen gibt, die sich wie ich für dieses Thema interessieren, sich beim Lesen gerne in andere Zeiten und Orte versetzen, Spaß daran haben, mehr über Kleidung und Textilien zu erfahren. 

Honoré de Balzac - Über das elegante Leben. Texte+Textilien Berlin 2021
 
Worum geht es in "Über das elegante Leben"? Balzac war 1830, bevor er mit seinen Romanen berühmt wurde, Redakteur der damals erfolgreichsten Pariser Mode- und Salonzeitschrift "La Mode". Die Zeitschrift enthielt unter anderem aktuellen Klatsch aus dem Pariser Gesellschaftsleben, was für Kleider in der Oper getragen wurden, wer welchen Ball gegeben hatte und wer dort zu Gast gewesen war, aber auch Artikel über neue Erfindungen, neue Bücher und Stücke, eben alles, worüber man sich in einem gebildeten Salon unterhalten kann. Den Artikel "Über das elegante Leben" schrieb er für diese Zeitschrift, er erschien im Herbst 1830 in mehreren Teilen in"La Mode". Balzac macht sich darin weitergehende Gedanken über Stil und Eleganz: Gibt es eine natürliche Gabe für Eleganz? Kann jeder Mensch lernen, elegant zu sein? Aber auch: Was sagt die Kleidung über einen Menschen und die Gesellschaft aus? 

Honoré de Balzac - Über das elegante Leben (Traité de la vie élégante)
 
Das ist einerseits sehr witzig und ironisch: er fasst seine Erkenntnisse in 53 Aphorismen zusammen und auch der englische Ur-Dandy Beau Brummell, mittlerweile ziemlich abgehalftert, verschuldet und in Frankreich im Exil, hat einen Auftritt, andererseits steckt eine ganze Modetheorie in dem kleinen Text. "Der Mensch, der in der Mode nur die Mode sieht, ist ein Dummkopf", ist Balzacs Fazit. Die Zusammenhänge von Kleidung und sozialem Status, Kleidung als individueller Ausdruck der Persönlichkeit einerseits, andererseits als sichtbarer Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, das ist ja ungefähr die Problemlage, die jedes modetheoretische Buch bis heute aufdröseln möchte. 

Balzac: Über das elegante Leben, Berlin 2021
 
Balzac schaut dazu auf die Entwicklung der Mode in Frankreich zurück und zeigt, wie sich erst die Französische Revolution und dann die Rückkehr zur Monarchie auf die Kleidung auswirkten. Gewissermaßen arbeitet er damit auch an seinen eigenen Problemen: 1830 gelang ihm als Autor nämlich endlich der Durchbruch, er wurde in die Pariser Salons eingeladen und man geht davon aus, dass er sich auch deshalb viel mit dem "richtigen" Auftreten beschäftigte. Er war eben nicht reich geboren oder von Adel, er besaß keine lässige, selbstverständliche Eleganz, er musste erst herausfinden, wie man sich auf dem gesellschaftlichen Parkett richtig bewegt. 

Balzac - Traité de la vie élégante, dt. Über das elegante Leben
 
Jedenfalls ein spannender Text, wie ich finde, eine interessante Perspektive auf Mode und Modegeschichte, vor allem in Frankreich. Und ein Lesevergnügen! Balzac ist so ironisch, und so viele Aussagen treffen auch heute noch den Punkt, zum Beispiel wenn er in Aphorismus Nr. 7 sagt: "Für das elegante Leben kommt als vollständiges Menschenexemplar nur der Zentaur in Betracht, nämlich: der Mann, der im Wagen sitzt." Heute würde man sagen: der Mann, der in einem dicken Auto sitzt, in einem SUV, einem Sportwagen, einem Tesla. Mir ist erst durch Balzac klar geworden, was für ein Statussymbol Pferde und Kutschen im 18. und 19. Jahrhundert waren und dass es da auch gewaltige Unterschiede bei den Modellen gab, so wie bei uns jetzt zwischen Kleinwagen und Luxuslimousine (und der berühmte Doktor Portal fährt im "Eleganten Leben" immer noch in einer uralten, klapprigen Kutsche aus der Vorrevolutionszeit herum - mithin ist er wohl eine Art Alt-68er mit angerostetem Volvo...). 

Honoré de Balzac: Über das elegante Leben. Essay über Mode und Stil.
 
Im zweiten Teil des Buchs ("Balzacs ABC der Eleganz") werden solche Details erklärt. Die Illustrationen sind Ausschnitte aus den Bildbeilagen von Modezeitschriften von ca. 1830, aus "La Mode", der Zeitschrift, für die Balzac arbeitete, aus dem "Petit Courrrier des Dames" und dem "Journal des Dames et des Modes". Die französische Buchausgabe des Textes hatte ganz ähnliche Illustrationen. Diese Kuperstiche dienten damals tatsächlich der Information über die neue Mode und sind zum Teil sehr detailliert, man kann manchmal sogar den Nahtverlauf erkennen - und hätte um 1830 damit zu einem Schneider gehen können, um sich die neueste Mode aus Paris nach der Abbildung anfertigen zu lassen. Es hat großen Spaß gemacht, nach Bildern zu forschen - dazu zeige ich demnächst noch mal mehr.

Die Übersetzung von Balzacs Aufsatz ist für dieses Buch komplett überarbeitet worden: Auf Deutsch war "Traité de la vie élégante" 1911 schon mal erschienen, allerdings in einer ziemlich merkwürdigen, teils unvollständigen und teils eher nacherzählten Übersetzung, wie es zu der Zeit nicht unüblich war. Die alte Übersetzung wurde vervollständigt, die Fehler berichtigt und die Sprache, wie es immer so schön heißt, "behutsam modernisiert" - wenn man versuchen würde, Balzac 1830 in Alltagsdeutsch 2021 umzuformen, würde man dem Text nicht gerecht werden und er würde vor allem Balzacs typische "Stimme" verlieren. Eine Bekannte meinte zu dem Buch, es sei ein kleines "Konfektstückchen", und genauso wie eine Schachtel Pralinen kann man es auch gut essen bzw. lesen: in kleinen Häppchen zwischendurch, immer wenn man gerade etwas Weltflucht braucht. Übrigens ist es durchaus auch als Geschenk für frankophile und modeinteressierte Männer geeignet, denn Balzac schreibt im generischen Maskulinum... 

Das Buch gibt es jetzt im Buchhandel (und natürlich auch direkt über mich) und genauer kann man hier noch einmal hineinschauen: Über das elegante Leben - Honoré de Balzac. Das schöne Cover ist wieder von Claudia Benter gestaltet worden. Als nächstes gibt es hier wieder Genähtes (trotz allem ist in den letzten Wochen einiges entstanden), und einen Exkurs über die Mode von 1830 - mit zeitgenössischen Bildern, und die Fotos von der Stickereiausstellung in Leipzig letztes Jahr könnte ich auch endlich einmal zeigen. 

Also bis bald!

Mittwoch, 2. Dezember 2020

Der rote Wollmantel (107 aus Burdastyle 10/2018) oder: eine typische Geschichte

Gerade noch rechtzeitig vor dem Beginn der Winterkälte hier im Nordosten ist mein Wollmantel fertig geworden. Ich hatte das Projekt im Januar 2019 bei der Annäherung in Bielefeld begonnen, und es scheint bei mir ein Naturgesetz des Nähens zu sein, dass ein Mantel immer erst ein Jahr ablagern muss (mindestens!) bis er fertig gestellt wird. In Bielefeld brauchte ich ewig für die Taschen - Paspeltaschen mit Klappe, auf die die Teilungsnaht im Oberteil zuläuft - fürs Zusammennähen, fürs Bügeln, und ich wDar dann schon ganz stolz, dass ich mit einer zusammengenähten Mantel-Außenhülle nach Hause fahrren konnte. Der Schnitt, Nurmmer 107 aus Burdastyle 10/2018 ist immerhin ein Vier-Punkte-Projekt bei Burda.

 

Der Mantel hing dann - auch das ist mittlerweile Tradtion - den ganzen Sommer auf einem Kleiderbügel hinter der Tür meines Nähzimmers. Der Herbst 2019 verging, ich hatte keine Lust, mich ans Füttern zu machen.

 

Es wurde Winter, der Jahreswechsel kam und die Annäherung 2020 näherte sich. Ich dachte an den Mantel, an das Futter und stellte fest, dass ich keine Ahnung hatte, wo sich der herauskopierte Schnitt des Mantels befand. Ich suchte einen halben Nachmittag und schaute in gefühlt tausend Klarsichthüllen und kam dann zu der Überzeugung, dass ich den Schnitt bestimmt bei einer Aufräumaktion weggeworfen hatte. Alles nochmal schnell neu auskopieren, damit der Mantel vor dem Nähtreffen 2020 fertig werden konnte? Niemals! Ich nähte in Bielefeld einfach was anderes, der halbfertige Mantel blieb auf dem Bügel hinter der Tür.

 Irgendwann im Frühjahr (genau erinnere ich mich nicht), fing ich tatsächlich an, den Futterschnitt noch einmal herauszukopieren - also zumindest die Ärmel, da relativ kleine Teile. Diese Anstrengung versandete aber irgendwann. Da fand ich eines Tages, als ich Regal mit den Nähbüchern etwas ganz anderes suchte, meine Schnittkopie von 2019 wieder. Ich hatte sie - sicher mit dem Gedanken, dass ich sie ja bald brauchen würde - zusammengefaltet quer auf eine Reihe Bücher ins Regal geschoben, von vorne leider so gut wie unsichtbar. Das Wiederfinden des Schnittmusters motivierte mich ein wenig, aber nicht so sehr, als dass ich im (heißen) Sommer einen wolligen Mantel zuendegenäht hätte. Das schaffte erst das virtuelle Nähkränzchen am Wochenende vor zwei Wochen, wo ich mich zuerst in Plänen und Träumen über schöne, neue Nähprojekte erging, ehe ich wieder an den Mantel dachte und dann wirklich, aber jetzt WIRKLICH das Futter für den Mantel zuschnitt und im Laufe des Wochenendes einnähte.

Es gab auch so gut wie keine Pannen dabei - außer: 

1. Das Futter war - nach Anleitung zugeschnitten - etwa 5 cm zu kurz. Das ist mir tatsächlich bei Burda-Schnittmustern schon öfter passiert, nach meiner Erfahrung reicht es nie, wenn man wie angegeben die Futterteile mit nur 1,5 cm Saumzugabe zuschneidet. Leider war mir dieses Wissen im entscheidenden Moment entfallen, aber ich schreibe es hier noch einmal auf, dann erinnere ich mich vielleicht beim nächsten Mal daran. Ich fand es dann etwas doof, schwarzes Futter anzustückeln, sondern verwendete einen Rest hellblauen Futterstoff, gut zum dunkelroten Oberstoff passt. Das ist sogar ein ganz guter Kompromiss, denn ich hatte zuerst überlegt, ein farbiges Futter einzunähen, mich dann aber doch für langweiliges Schwarz entschieden.   

2. Ich schnitt bei dem Versuch, die Nahtzugabe des Futters am Schlitz im Rückenteil zurückzuschnieden, auf einer Seite in das Futterrückenteil. Das sah zuerst ziemlich dramatisch aus, aber irgendwie war an der Stelle genügend Futterstoff vorhanden, so dass ich den Einschnitt beim Ansäumen am Schlitzbeleg nach innen schieben konnte. Ich verstehe im Grunde nicht ganz, wie das sein kann, aber auf jeden Fall sieht das Futter OK aus, der Schnitt ist weg, es spannt nirgends - also bin ich zufrieden. Die feinheiten des Abfütterns, bei denen ich nicht besonders fit bin, sind wahrscheinlich das, was den vierten Schwierigkeitspunkt bei diesem Schnitt ausmacht.

Hier nochmal zum Angeben die Paspeltasche aus der Nähe! 

Beim MeMadeMittwoch versammeln sich heute wieder Menschen im Selbstgenähten - ich bin gespannt, wie viele Mäntel dabei sind. 

Details zum Schnitt:

Schnittmuster: 107 aus Burdastyle 10/2018

Stoff: ca. 3,20 m dunkelroter Wollstoff , ca. 2 m schwarzes Viskosefutter und ein Futterstreifen in hellblau von ca. 7,5 cm Breite

4 Druckknöpfe

Einlage: auf dem gesamten Vorderteil, Kragen, ein Streifen auf Ärmelsäumen und Säumen und auf den Schlitzkanten im Rückenteil. Ärmelfische und dünne Schulterpolster.