Donnerstag, 28. Januar 2016

Vier Frauen, vier Mal Textilkunst im Atelier Tapa

 

Textilkunst hat es in Deutschland nicht leicht. Im Galeriebetrieb wird sie oft nicht als Kunst ernst genommen, während auf Kunsthandwerksausstellungen die fehlende Funktionalität der Objekte wiederum nicht so recht ins Konzept passt: Textilkunst kann man nicht nutzen wie eine schöne Decke, ein Kleid oder eine Tasche. Eigene Ausstellungsmöglichkeiten für Textilkunst zu schaffen ist daher wichtig, um ihr Öffentlichkeit zu verschaffen. Das Atelier Tapa im Souterrain in der Berliner Linienstraße 154 ist so ein Ort, an dem sich Textilkunst präsentieren kann. Noch bis zum 6. Februar läuft dort die Ausstellung "Mit Faden", in der textile Bilder von Gudrun Leitner, Tatyana Kotlyar, Diana Lavoie und Inga Liksaite zu sehen sind.   

Textile Bilder von Gudrun Leitner
Ich hatte mir die Ausstellung im Dezember angesehen und fand es ganz faszinierend, wie wenig die  die Werke trotz ähnlicher Techniken gemeinsam haben. Denn im Prinzip verfolgen die vier Künstlerinnen einen ähnlichen Ansatz: Sie stellen aus Stoff und Garn zweidimensionale Bilder her - aber was für unterschiedliche!

Tatyana Kotlyar bemalt den Untergrundstoff und appliziert darauf grafische oder organische, oft durchbrochene Formen aus Stoff  mit der Nähmaschine, oft in mehreren Schichten. Es entsteht ein Wirbel aus Farben und Formen, sehr bunt und expressiv, wenn die mit engem Zickzack umrandeten Stoffstücke miteinander verschmelzen.

Bei den Bildern von Diane Lavoie (im unteren Foto links sieht man Medieval Medical Illustration von 2014) beeindruckt auf den ersten Blick die Fernwirkung - und sie beeindruckte mich noch mehr, als ich näher herantrat und die einzelnen Materialien wahrnahm. Denn Diane Lavoie verwendet viele fein gemusterte Stoffe, mal bewusst "schlampig" und offenkantig appliziert, mal mit Stecknadeln zusammengesteckt, mal ist auch ein Teil eines Kleidungsstücks dabei, und doch entsteht im Gesamteindruck eine malerische Wirkung, die ich einer textilen Applikation gar nicht zugetraut hätte. Seht ihr unten den rosigen Hauch auf den Wangen der  Dame aus dem Mittelalter? Das iat alles der gekonnte Einsatz von Stoff und Garn!

Ausstellung "Mit Faden": Bilder von Diane Lavoie (links) und Inga Liksaite (rechts)
Bei Inga Liksaite könnte man hingegen sagen, dass sie mit der Nähmaschine zeichnet - viele, viele gerade Nähte, mal enger beeinander, mal weiter auseinander. Im Raster der Linien ergibt sich das Motiv ebenfalls erst aus der Entfernung, ähnlich dem Effekt, der sich einstellt, wenn man ein Foto in der Zeitung ganz aus der Nähe betrachtet und das Raster des Drucks wahrnimmt, hellere und dunklere Punkte, die erst mit einem bestimmten Abstand ein Bild erkennen lassen.

Für Gudrun Leitner bilden ebenfalls Fotos den Ausgangspunkt: Die Bilder werden am Computer in einzelne Farbflächen und Farbsplitter zerlegt und anschließend mit der Nähmaschine aus Stoff wieder zusammengesetzt, Schicht für Schicht übereinander, zu einer absolut planen Fläche. Die beiden Porträts im oberen Foto, die an großformatige Fotografien erinnern, sind auf diese Weise aus einfarbigen Stoffen appliziert - auf der Webseite von Gudrun Leitner sieht man einige Details dieser Bilder und bekommt eine Ahnung von der aufwendigen und detailversessenen Arbeit.

Schaut euch die Ausstellung an, solange noch Zeit ist  - bis zum 6. Februar in der Linienstraße 154, unter dem Museum der Stille.  

Atelier Tapa
http://www.tapa-atelier.de
 Ausstellung "Mit Faden"
Linienstr. 154, 10115 Berlin
Freitag-Sonntag 11-17.00 Uhr und nach Vereinbarung

7 Kommentare:

  1. Mich trennen rund 4000 km von Berlin, deswegen ein besonderes DANKE für diesen Museumsbesuch und die Links zu den beeindruckend spannenden Arbeiten der Künstlerinnen.
    LG AnneK

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  2. Hallo, klingt sehr interessant, muß ich unbedingt noch hin. Danke für den Tip.
    LG schurrmurr

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  3. Meine Neugier war geweckt, machte mich sofort auf den Weg (Freitag u. Samstag 11-17) und... Geschlossen !!! Meine Enttäuschung ist fast so groß wie's meine Neugier war!!!

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    1. Oh nein, wie ärgerlich! Vielleicht sicherheitshalber anrufen und einen Termin vereinbaren bzw. nachfragen, ob auch wirklich geöffnet ist? Sonntags ist laut Webseite eigentlich auch auf. Hoffentlich klappt es noch!

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    2. ja, ans anrufen dachte ich ja auch, als ich so enttäuscht vor verschlossener Tür stand, nur habe ich nirgends eine Telefonnummer ausfindig machen können :(

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    3. Das ist so typisch für solche Veranstaltungen, wäre ja nicht das erste Mal. (Erinnert mich an die DDR-Mode an der Uni). Halbprofessionell - es geht wohl gar nicht so sehr um mögliches Publikum. Da darf man sich dann nicht wundern, wenn man nicht ernstgenommen wird.
      Aber Dank, dass du nachgeschaut und berichtet hast!

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  4. Ja, das stimmt, Textilkunst hat immer noch nicht die Beachtung, die sie verdient. Deshalb vielen vielen Dank für den Ausstellungsbericht. Da ich es sicherlich nicht nach Berlin in der Zeit schaffe, freue ich mich, dass ich durch deinen Bericht daran teilhaben kann.
    LG Ute

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